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Über den Gründer der Großen Freiheit 36

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Karl-Hermann Günther - 2010

Der Brecht-Jünger Günther
und seine Vision zur 
EnT-
kriminalisierung der Kiez-gemeinde

Der gelernte Lehrer Karl-Hermann Günther, der in der Kiez-Krise der 80er Jahre das Wunder vollbracht hatte, wieder Jugend nach St. Pauli zu ziehen, empfand noch immer "dieses kribbelige Hochgefühl", wenn er in die Reeperbahn einfuhr. Er besaß über dem DOCKS ein kleines Apartment mit Sauna, aber er lebte in der Nähe von Kiel als "einziger Kerl in einer Landkommune mit vier Weibern", wie er gern mit seiner Ehefrau und seinen drei Töchtern kokettierte. Seit ihrem 15. Geburtstag nahm er die Älteste gelegentlich mit zu Konzerten nach St. Pauli: "In Begleitung des Vaters ist das schließlich erlaubt". Der GROSSEN FREIHEIT 36 erwuchs ein Ruf als "Leuchtturm im Dschungel der Musikschuppen", wie der Rocksänger Udo Lindenberg sagte:  "Der Laden ist enorm wichtig. Er setzt die Musiktradition, die der STAR-CLUB auf der Großen Freiheit begonnen hat, fort und ist für viele Musiker der Laden weltweit." Die Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde steigerte sich sogar zu dem Kompliment: …"Dies ist der beste Live-Club der Welt."

 

 

 

Seit der Superstar Prince in der GROSSEN FREIHEIT 36 einen legendären Pop Gottesdienst zelebrierte, war es für die Booker leicht, deutsche Größen und auch international renommierte Bands für einen Kiez-Auftritt zu gewinnen, zumal sie Ihnen entweder die intime Club-Atmosphäre oder den phänomenalen Sound in der hohen Halle des DOCKS zu bieten hatten. Aber ökonomisch war das ein "Eiertanz", wie Günther oft erfahren musste. Hochkarätige Musiker mit teuren Gagen hinterließen regelmäßig ein Minus, das durch den Alltagsbetrieb wieder ausgeglichen werden musste. Ja doch, von Vertretern der Stadt erhielt Günther viel ideelle Unterstützung. Immer wieder wurde seinen Initiativen das Epitheton "kulturell wertvoll" verliehen, aber nie kam ein Zuschuss, um St. Pauli mit der ersten Garde der internationalen Stars zu schmücken. Eigentlich war Günther ein typischer Intellektueller der 68er Generation, der Deutsch und Politik studiert hatte, aber bei seinem ersten Versuch als angestellter Lehrer schnell mit dem erzkonservativen Rektor aneinandergeraten war. Sein nächster Plan, ein Heim für schwererziehbare Kinder aufzuziehen, scheiterte schon im Ansatz, weil er die Finanzierung nicht zusammenbekam. Eher aus Verlegenheit versuchte er sich als Gastronom mit einem winzigen Lokal, das er sehr schnell durch Dichterlesungen und Auftritte von Liedermachern in die erste Kultur-Kneipe von Kiel verwandelte: "Da entdeckte ich mein eigentliches Talent als Kommunikationskünstler". Nebenbei wurde er auch noch einer der Gründer der Grünen in Schleswig-Holstein. Auch wenn "Kaha", wie er in seiner Szene genannt wurde, im politischen Alltagsgeschäft nicht mehr mitmischte, blieb er eine Institution als grünes Urgestein und Vordenker.

Nach seinem Sprung auf den Kiez entdeckte er mit den Schocks eines "Landeis" die kriminellen Abgründe von St. Pauli und grübelte fortan über Abhilfe durch politische Veränderungen. Er sah das Elend der Drogen-Abhängigen. Er nahm die Macht der bewaffneten Profiteure durch viele Indizien wahr. Rettung aus dem Teufelskreis versprach er sich durch eine "weiße Drogenkultur". Der Vorschlag der schleswig-holsteinischen Grünen, in einem Modellversuch Haschisch von Apotheken verkaufen zu lassen, war für ihn ein Schritt in die richtige Richtung". Dass die rot-grüne Regierung in Bonn Heroin auf Krankenschein möglich machte, erschien ihm als ein "Segen nach den bitteren Jahren der Stagnation in der Drogen-Politik" Aber nur, wenn der Kreis der auf Staatskosten versorgten Süchtigen nicht bloß ein paar hundert Vorführfälle, sondern Tausendschaften der Hamburger Elends-Junkies umfassen würde - nur dann versprach er sich eine Lösung von St. Pauli aus dem Griff der illegalen Drogenmacht: "Das wäre langfristig billiger, ganz abgesehen von dem moralischen Wert einer Entkriminalisierung und dazu noch einer Entlastung der Allgemeinheit von den vielen Delikten, die zur Finanzierung der Süchte begangen werden. Nicht nur für eine „weiße Drogenkultur" wollte Kaha politisch kämpfen. Bei seinen Exkursionen in St. Pauli geriet der intellektuelle Brecht-Jünger auch in Kontakt "mit der rauen Halbwelt". Er lernte Prostituierte und Zuhälter kennen: "Menschen, die aus den verschiedensten Berufen in dies Milieu geschleudert worden waren und im Schnitt nicht besser oder schlechter als Leute anderer Berufssparten waren, eher ein bisschen besser, weil sie mutiger waren."

 

Trotzdem empfand "Kaha" das Sex-Gewerbe als ein "Schmutzgeschäft, das die absurde Gesetzeslage gezüchtet hat". Weil die Prostituierte unter dem Verdikt der Sittenwidrigkeit stand und keine Verträge schließen konnte, war sie dem Zuhälter ausgeliefert, der sich seinerseits in der Illegalität befand - "eine gegenseitige Erpressungssituation, die bei beiden das Bewusstsein vergiftete", wie Günther analysierte. Das wollte er politisch ändern durch eine "neue sexuelle Revolution". Prostituierte sollten wie alle anderen Berufstätigen der Republik gestellt werden: durch Arbeitsverträge, die gerichtlich überprüfbar sind, und letztlich durch Aufnahme in die Sozialversicherung, die ihnen bislang verwehrt ist. Außerdem sollte aus dem Strafgesetzbuch die Förderung der Prostitution gestrichen werden "ein Willkürparagraf", so Günther, "mit der schizophrenen Auslegung, da die Schaffung von angenehmen Bedingungen rechtswidrig ist, nicht aber das Abkassieren von hohen Zimmermieten unter miserablen Umständen". Auch führende Kreise der Hamburger Polizei befürworteten eine Neuordnung der schwammigen Gesetzeslage. Nur wenn das Geschäft mit dem Sex in die legale Wirtschaft eingegliedert und ein Keil zwischen die Halbwelt und die Unterwelt getrieben würde, könnte nach Günthers Einschätzung der Abfluss der Gelder aus der Prostitution in die organisierte Kriminalität gedrosselt werden: „Sofern die Halbwelt in einen legalen Status überführt würde, könnte die Polizei mit den besten Tipps aus dem Milieu rechnen. Wir hätten von heute auf morgen eine informelle Ordnungsmacht von Leuten, die peinlich darauf bedacht wären, ihre Rechtssicherheit nicht mehr durch kriminelle Nebengeschäfte zu riskieren. Das schwebt mir für ein sauberes St. Pauli des 21. Jahrhunderts vor."

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Präser mit der Aufschrift „Große Freiheit 36“
als Verzehrbons

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Gnadenlos schlecht?
Gnadenlos gut?

Gnadenlos anders!

Kleinkunst im SCHMIDT

Während die Justiz das schwarze Kiez-Kapitel bewältigte…

 

 

 

 

 

Auch der gelernte Lehrer Günther verhalf der „neuen Reeperbahn" zu einem Stützpfeiler: Das DOCKS am Spielbudenplatz wurde zum zweiten Kristallisationspunkt für die Live-Musik auf dem Kiez. In der Nummer 19, wo einst die Hagenbecks ihre Tiermenagerie hatten und dann in KNOPF'S LICHTSPIELHAUS die Kinogeschichte ihren Lauf nahm, wurden nun die Töne auf die alte Art mit Mund, Hand und Fuß gemacht. Jazz, Rock, Punk, irische Folklore. Stars wie David Bowie - im DOCKS wurde den Kids, die mit virtuellen Welten groß geworden waren, die Musik als Moment der Wirklichkeit geboten, und sie kamen. 

 

Mit dem DOCKS und der GROSSEN FREIHEIT 36 bewirkte Günther einen Schub in der modernen Konzert-Kultur. Junge Musik-Fans fanden im klingenden St. Pauli ihr Lebenselixier, aufstrebenden Jungtalenten bot er eine Chance auf der Bühne. Wenn er keine Band zur Hand hatte, liefen Disco Partys mit Sparpreisen für die Getränke.

 

Günthers ganzer Stolz war die PRINZENBAR im DOCKS. Von der alten Pracht des KNOPF's war wegen eines Brandbombentreffers im Krieg zu seinem Bedauern nicht mehr viel übrig. Nur die großen Engel in der PRINZENBAR konnte er herausputzen lassen: Nostalgie lag voll im Trend. Zwischen der nachtschwarzen Konzerthalle mit dem stampfenden Publikum im Scheinwerfergefackel und der elegischen Atmosphäre in der PRINZENBAR lag ein ungeheurer Spannungsbogen: der Anfang und das auslaufende Jahrhundert unter einem Dach. Während die Reeperbahn mit den kulturellen Tupfern geschmückt wurde...

Während im Milieu Blutgeschichte geschrieben wurde. …

Statt Kids den drögen Schulstoff einzutrichtern, machte der ausgeschiedene Realschullehrer Karl-Hermann Günther lieber Musik-Promotion. In der Großen Freiheit stieß er auf einen wunderbar großen Raum, der durch einen Einbau verhunzt worden war. Von der Galerie guckte man auf eine merkwürdige Rigipskiste. Die Damen, die darin animiert hatten, waren durch die Kiez-Krise arbeitslos geworden. Anna Bartels, Willis Schwester, nahm den Exlehrer mit Kusshand und räumte ihm eine äußerst günstige Pacht ein. Günther riss allen Rotlicht-Tinnef heraus und eröffnete im September 1985 die GROSSE FREIHEIT 36 - unter dem Zeichen eines Sterns, wie er einst auf den STAR-CLUB, Nummer 39, verwiesen hatte. Schon in der ersten Nacht brachte der Blues-Gitarrist Rory Gallagher den Saal zum Vibrieren. Es war wieder wie in den legendären Zeiten des STAR-CLUBS. Das Publikum tobte derart, dass der Lärm über der Großen Freiheit stand und die Davidwache alarmiert wurde. Aber der Revierführer Rielandt entschärfte die Lage und „nahm sich unserer Chaostruppe an“, wie Günther dankbar in Erinnerung behielt. Nach Bemühungen um besseren Lärmschutz und mancher Good-will-Tour durch die Nachbarschaft wurde der Fremdkörper zwischen den Sex-Schauen schließlich akzeptiert.

Nach einer Ära der Tonkonserven entwickelte sich auf dem Kiez das

Kulturphänomen einer Live-Musikszene. In das St.-Pauli-Publikum der älteren Daddies mischte sich wieder Jugend, die wie ein Wunder nach all den Krisen-Symptomen willkommen geheißen wurde. Die Kids, manche Nacht 1700, kriegten als Verzehrbons Präservative mit der Aufschrift „GROSSE FREIHEIT 36", die aber selten eingelöst wurden: Aids-Prophylaxe der ersten Stunde.

Als Günther der Geschichte der Nummer 36 nachging, wurde ihm klar, dass sich unter dem Club im Souterrain der Ort befand, wo die Rockkultur der Halbstarken begonnen hatte und die Beatles zum ersten Mal aufgetreten waren: Der KAISERKELLER wurde entrümpelt und entstaubt. In der Disco mit elementaren Haltestangen und rohen Brettern als Tische reagierten sich Tanzlustige ab, während oben im schwarzgetünchten Saal mit der altmodischen Holzgalerie Bands der verschiedensten Stile gastierten. In der anheimelnden Club-Atmosphäre von Schäbigkeit und Gemütlichkeit entstanden Musikmomente, die von Kennern als „unvergesslich“ gepriesen wurden.

 

 

Im Frühjahr 1986 gab es Krach …

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